Mit Beschluss vom 21. Dezember 2023 (Az. I ZR 96/22) hat der für das Urheberrecht zuständig I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs BGH, dem Europäischen Gerichtshof EuGH mehrere Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff zur Klärung vorgelegt.
In der Sache geht es um die Frage, ob das bekannte, schlicht-funktionale Möbelsystem von USM-Haller als Werk der angewandten Kunst (Gebrauchskunst) Urheberrechtsschutz genießt, und ob es sich jedenfalls um ein lauterkeitsrechtlich (nach Wettbewerbsrecht, § 4 Nr. 3 lit. a) UWG) gegen Nachahmung geschütztes Leistungsergebnis handelt.
Das LG Düsseldorf hat der Klägerin mit Urteil vom 14. Juli 2020, Az. 14c O 57/19, überwiegend recht gegeben. Hingegen hatte das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 2. Juni 2022, Az. 20 U 259/20, Urheberrechtsschutz verneine, aber Ansprüche aus Wettbewerbsrecht zuerkannt. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass es sich bei dem USM Haller Möbelsystem nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG handele. Es erfülle nicht die vom Gerichtshof der Europäischen Union in seiner jüngeren Rechtsprechung gestellten Anforderungen an ein Werk, weil seine Gestaltungsmerkmale – auch nach dem von ihnen vermittelten Gesamteindruck – nicht Ausdruck freier kreativer Entscheidungen seien. Sie beruhten entweder auf dem vorbekannten Formenschatz oder seien durch technische Erwägungen oder andere äußere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen hätten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union der Urheberrechtsschutz für Gebrauchsgegenstände im Verhältnis zum Geschmacksmusterschutz die Ausnahme bleiben müsse und es für das Vorliegen einer freien kreativen Entscheidung durchaus auf die subjektive Sicht des Schöpfers ankomme. Sei der Schöpfer auch nur vermeintlich durch Regeln, technische Gegebenheiten oder andere Zwänge gebunden, scheide eine kreative Entscheidung aus, die bewusst und damit frei getroffen worden sei.
Allerdings habe das USM Haller Möbelsystem "wettbewerbliche Eigenart", weil seine Gestaltungsmerkmale nach ihrem Gesamteindruck auf die Klägerin als Herstellerin hinwiesen. Das Angebot der Beklagten sei daher unlauter, weil es die Abnehmer in vermeidbarer Weise über die betriebliche Herkunft der angebotenen Produkte täusche.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren nun ausgesetzt und dem EuGH folgende drei Fragen zur Auslegung Werkbegriffs gem. Art. 2 lit. a), Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der InfoSoc-RiL 2001/29/EG vorgelegt:
Aus deutscher Perspektive war man davon ausgegangen, dass die nun aufgeworfenen urheberrechtlichen Fragen bereits durch die BGH-Urteile "Seilzirkus" (Urteil v. 12.05.2011, Az. I ZR 53/10 – Seilzirkus) und "Geburtstagszug" (Urteil v. 13.11.2013, Az. I ZR 143/12 – Geburtstagszug) geklärt sind. Dort hatte der BGH bereits festgestellt, dass bei Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine höheren Anforderungen an die für einen Urheberrechtsschutz erforderliche Gestaltungshöhe zu stellen sind, als bei Werken der zweckfreien Kunst; vgl. dazu
Allerdings hat vor kurzem das schwedische Berufungsgericht für Patente und Märkte ("Svea Hovrätt") dem EuGH ein ähnliches Vorabentscheidungsersuchen zum europäischen Werkbegriff vorgelegt (Az. C-580/23), sodass die richtige Auslegung der europäischen Richtlinie nach Ansicht des BGH nicht (mehr) derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt.
Dr. jur. Urs Verweyen, LL.M. (NYU) | Rechtsanwalt, PartnerNachdem der BGH vor wenigen Jahren in seinen Urteilen "Seilzirkus" und "Geburtstagszug" festgestellt hatte, dass Gebrauchskunst und freie Kunst grundsätzlich an dem gleichen Maßstab zu messen sind, allerdings bei der Beurteilung von Gebrauchskunst alle technisch-funktionalen Gestaltungselemente außen vor zu bleiben haben, war eine Vorlage an den EuGH eigentlich nicht mehr erwartet worden. Im europäischen Geiste lässt der BGH nunmehr aber nicht unberücksichtigt, dass das schwedische Svea Hovrätt den europäischen Werkbegriff als noch nicht abschließend geklärt angesehen hat.
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